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Besonders deutlich wird dieses „Gesetz der Distanz“ meiner Meinung nach in jenen Arbeiten, in denen Ea Bertrams von Kernspintomograhien ausgeht und die sie X-Rays – Röntgenstrahlen – nennt. Diese Aufnahmen bearbeitet sie digital und lässt aus dem medizinischen Fakt fast sakral wirkende Bilder schönster Ornamentik werden – durchscheinende Kompositionen, die an Kirchenfenster erinnern, an Kaleidoskope, Klöppelspitzen oder Mandalas.
Tatsächlich aber ist das, was wir sehen, das Innere des Kopfes von Ea Bertrams selbst, in Scheiben geschnitten und in Abschnitte zerteilt. Nach einem Unfall, der das Leben und Arbeiten für Ea Bertrams über Monate hinweg beeinflusst und verändert hat, wurden diese Aufnahmen gemacht. Doch der eigentlich intimste Vorgang, den wir uns vorstellen können – der Blick ins Gehirn, also im übertragenen Sinne in den Geist –, wird von Ea Bertrams über mehrere Schritte hinweg verarbeitet zu einem fast erschreckend neutral wirkenden Bildkosmos, der rätselhaft schön, aber keineswegs von großer Innerlichkeit geprägt ist.
Selbst das medizinische Bild ist fast nicht mehr erkennbar, nur noch erahnbar. Es wird verwandelt in ein reines Symbol, das für Geistigkeit im Allgemeinen steht, aber nichts über das persönliche Befinden der Künstlerin verrät. Die konkrete Angst, die mit der Untersuchung in der dunklen Röhre, mit der Analyse der Bilder durch den Arzt und mit der daraus möglicherweise folgenden Veränderungen für das Leben verbunden ist, geht im Prozess der Abstraktion verloren.
Wie eine Art Schutzfilm aus Farben und Formen ordnet Ea Bertrams diese objektiven Bilder ihrer inneren Welt meist symmetrisch um einen Mittelpunkt oder um eine Spiegelachse herum an, so dass Rosetten entstehen, und sie gewinnt auf diesem Weg selbst jene Distanz, die den Betrachter schließlich so verstört und irritiert zurücklässt und deren Geheimnis er nicht lösen kann.
„Nur die Unwirklichkeit hebt das Gesetz der Distanz auf.“
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Petra von Olschowski, 2004